Der Anfang vom Ende

Leben 694 – Mittwoch, 23.03.11 

Dass das Gebäude aufgegeben wird, steht seit geraumer Zeit fest. Bereits im Frühsommer werde ich in einem anderen Glas- und Betontempel sitzen. Ich werde den Kiez um die Ecke, diese liebgewonne Mischung aus asiatischen Restaurants, marrokkanischen Obst- und Gemüsegeschäften, idyllischem Wochenmarkt nebst traditionellem Bürofachgeschäft und Rotlichtbezirk eingetauscht haben gegen einen Wolkenkratzerpark, eine verstaute Stadtautobahn und eine hochfrequentierte Eisenbahnterrasse, auf dass es immer was zum Gucken gibt.

Das ist mir also länger schon klar. Ich werde es nicht ändern können, werde mich in dieses Schicksal fügen, und werde versuchen, das neue Ambiente lieben zu lernen, genauso wie ich mein derzeitiges Umfeld auch erst lieben lernen musste.

Ich will „mein altes Gebäude“ gerade betreten, bin gedanklich schon auf der Treppe hoch zum Brötchenmann, als eine schreckliche Erkenntnis meine Schritte lähmt, mir die Kraft aus den Beinen nimmt, mich müde und schwer macht: Bald schon ist es aus mit dem Brötchenmann und mir, bald schon werden sich unsere Wege trennen.

Ich grüße ihn etwas wehmütig, und frage ihn mit tieftraurigem Blick, wie lange er denn noch da sei. Hm, so ein bis drei Jahre, hoffe er.

Ich ziehe meine Augenbrauen hoch, schaue ihn entgeistert an und erzähle ihm in weniger als dreißig Sekunden, wofür andere auch gerne schon mal Powerpoint bemühen, nämlich dass das Gebäude bald gespentisch leer sein wird.

Das sei ja absolut nichts Neues, grinst er mich an, ich häbe ihn ja gefragt, wie lange er denn noch DA sei, und da hoffe er schon noch auf ein bis drei gute Jahre. Ober lieber noch ganz viel mehr, was er mit einem verschmitzten Blick begleitet.

Wir lächeln ob seines Wortwitzes.

Ich nehme einen zweiten Anlauf.

„Und was machen Sie, wenn Sie den Job hier aufgeben müssen?“ frage ich ihn.

„Dann werde ich mich mal wieder nach einer richtigen Arbeit umsehen müssen!“

Und für einen Augenblick habe ich das Gefühl, er könne das sogar ernst meinen…

© Ulf Runge, 2011

 

14 Kommentare Gib deinen ab

  1. Da es im TV nuhr sehr wenige wirklich gute Comedians und Wortkünstler gibt, wäre das doch etwas für ihn.

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    1. Ulf Runge sagt:

      Liebe Jürgen,

      nuhr wie bringe ich ihm das bei?
      Weißt Du was. Er. Und ich. Das wär unschlagbar. Oder? Lächel….

      Liebe Grüße,
      Ulf

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  2. andrea2110 sagt:

    Lieber Ulf, jetzt bin ich doch tatsächlich einen Moment lang auch ganz wehmütig… Keine Brötchenmann-Geschichten mehr? Gibt es denn in dem neuen Gebäude keine hungrigen Menschen, er könnte doch einfach mitkommen… Fragst Du ihn das mal von mir? Sonnige Grüsse Andrea

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    1. Ulf Runge sagt:

      ich iiii-iiiii-cccchhhh soll ihn fragen, liebe Andrea,
      ich soll ihn fragen, ob er mit mir geht?

      „Willst Du mit mir geh’n“

      Ich werde ihm das Ständchen singen… Und Dir berichten.

      Ja, ab irgendwann werde ich die Geschichten dann ERFINDEN müssen.

      Liebe Grüße,
      Ulf

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  3. rainer sagt:

    So viele Menschen leben von den Büropausen der Werktätigen – wenn es bei Ihnen schmeckt, und wenn sie auch noch Originale sind, dann ist das eine stete kleine Glücksquelle.
    Liebe Grüße Rainer

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    1. Ulf Runge sagt:

      Lieber Rainer,

      es gibt so viele Pause, die keine sind: Blaupausen, Monopausen, Stratopausen.
      Doch meine Büropause, die ist erfüllt vom Esprit und Witz meines Brötchenmannes, da hast Du recht.
      Ein Original sei er? Ja, er ist ein Frankfutter Bubb…
      Und – GENAU – ein Quelle des Glücks.

      Liebe Grüße,
      Ulf

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  4. Genau, (fast) unschlagbar. Wenn „Ulf und der Brötchenmann“ zeitgleich mit „Hannes und der Bürgermeister“ ausgestrahlt würde, dann fiele die Entscheidung wahrlich schwer. Zum Glück gibt es ja Aufnahmegeräte.

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  5. Elisabeth sagt:

    Hm, lieber Ulf,

    jetzt bin ich auch ein klein wenig betrübt ~ bin aber guter Hoffnung, dass es dort neue Geschichten geben wird und hoffentlich auch etwas Feines zum Essen! 🙂
    So sind Veränderungen, und sie haben etwas GUtes, ganz bestimmt! 🙂

    Liebste Wochenendwünsche, Elisabeth

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  6. Hase sagt:

    Lieber Ulf,
    etwas traurig schon, aber doch wunderschön war die Zeit , die Ihr zusammen hattet, den Humor und die Freude. Das was war, schätzen und dankbar dafür sein . Loslassen können gehört zum Alltag, das wissen wir ja schon lange. „Wenn´s am schönsten ist, soll man geh´n“ das hat unser lieber Pfarrer bei seiner letzten Predigt zum Thema gehabt, als er einen Ortswechsel vornehmen musste. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge…. Das wünsche ich Dir auch in all dem , was Du schmerzlich zurücklassen musst. Ich wünsche dem Brötchenmann alles Gute und danke für seine erheiternden Geschichten hier auf dem Blog…..
    liebe Grüße, Erika 🙂

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  7. Ulf Runge sagt:

    Hannes und der Bürgermeister, lieber Jürgen?
    Kenne ich leider nicht.
    Sieht so aus, als würde mir was Wichtiges entgangen sein.
    Lach.

    Liebe Grüße,
    Ulf

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  8. Ulf Runge sagt:

    Liebe Elisabeth,

    in jeder Veränderung liegt eine Chance.
    Der Brötchenmann und ich, wir hatten unsere Zeit. Und haben sie noch ein paar Wochen. Vielleicht ist diese Zäsur Anlass dafür nachzudenken, diese Begebenheiten als Büchlein herauszubringen… 🙂

    Liebe Grüße,
    Ulf

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  9. Ulf Runge sagt:

    Liebe Erika,

    es ist viel schöner, mit Freude Abschied zu nehmen und zu wissen,
    dass es eine schöne Zeit war, als umgekehrt.

    Und so genieße noch mit ganzer Freude die kommenden Wochen in der Hoffnung,
    dass da noch einiges für diesen Blog bei rausspringt.

    Liebe Grüße,
    Ulf

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    1. Ulf Runge sagt:

      Lieber Jürgen,

      danke für den Link. Mäulesmühle. Das wär mir ein Begriff gewesen. Lach. Zumal ich glaube, von den beiden erst vor kurzem einen Ausschnitt gesehen zu haben.
      Das ist Kult, oder?

      Liebe Grüße,
      Ulf

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