Slam06 – Blogger sind einsam, in Darmstadt

vorgetragen auf der 19. Darmstädter Dichterschlacht am 26.10.07

Guten Abend, Darmstadt,

mein Text heißt: [Pause] „ Darmstadt“.

Man hat mir nämlich gesagt, mach was mit „Darmstadt“, das kommt gut. Eigentlich hieße mein Beitrag ja: „Blogger sind einsam“. Und deshalb fange ich noch mal an…

Guten Abend, Darmstadt,

mein Text heißt: [Pause] „Blogger sind einsam, in Darmstadt“.

Möglicherweise wisst Ihr ja gar nicht, wie einsam man ist, als Blogger. Bloggen? Was das ist? Hm, so was wie Slammen, bloß dass man keinen Ton rauskriegt. Du holst Luft, formst die Lippen. Nichts. Vorgewärmte, lautlose Luft verlässt Deine oberen Entlüftungsschächte. [Pssst]

Deshalb wurde das Bloggen erfunden. Sozusagen als Therapie für Stumm-Slammer. Also, Du stellst Dir vor, da oben oder da unten oder irgendwo auf dieser Welt, im Netz, sitzen zwei oder drei Leute, gerade so wie hier. Oder auch anders. Weil, die sitzen, damit sie genau so einsam sind wie Du, vorm PC, aber das nur, weil die Texte etwas länger sind als ne SMS, sonst säßen die irgendwo mit ihrem Handy. Und würden mit dem Blogger simsen (SMSen) wollen.

Also die zwei oder drei Leser, die so ein Blogger hat, die müssen ja nur deshalb am PC sitzen, weil der erstens keinen Ton rauskriegt, sonst wäre er ja hier, und zweitens so was von sauer ist, weil ihn keiner verlegen will. Manchmal macht ein Blogger das dann selber, aber das kostet ganz schön Kohle, und die will der Blogger doch eigentlich erst mal verdienen mit dem Schreiben, später mal.

Warum ist ein Blogger denn nun einsam? Bloß, weil er am PC schreibt und ihm kein Schwein zuhört? Nein, beileibe nicht nur deshalb.

Blogger entspringen ursprünglich einem ganz normalen sozialen Umfeld, so wie Slammer und Jogger auch. Anfänglich total unauffällig, leben sie vorzugsweise in ihrer Patchwork-Familie: Er, beruflich nicht ausgelastet, sie, geschäftsführende Gesellschafterin eines gemeinnützigen Taxiunternehmens, dazu dann noch ein oder mehrere Langzeitstudierende an den örtlichen Schulen.

Blogger haben nichts zu sagen; wir hörten ja bereits davon, dass sie keinen Ton rauskriegen. Das gilt auch für ihr soziales Umfeld, in dem sie sich nur schwerlich behaupten, so dass sie ihren Geltungsdrang anderweitig kanalisieren müssen.

„Schatz, wir haben eine Flatrate!“ Damit fängt es oft an. Dann macht man – meist untaugliche Versuche mit einer eigenen Homepage, keiner will sie, keiner braucht sie. Und potthässlich mit allem Murks überfrachtet ist sie auch meistens. Unterbelichtete Urlaubsphotos, ein selbst erstelltes Karaoke-Video, Links, die die Welt nicht braucht, schlussendlich ein Gästebuch voller Peinlichkeiten.

Das ganze wird dann kurzerhand in einer hastig überarbeiteten Version zum Blog deklariert. Blog heißt, dass der aktuellste Beitrag oben ist, der älteste unten, also nicht mehr auffindbar, und dass jetzt jeder Beitrag sein eigenes Gästebuch hat. Wie gesagt, voller Peinlichkeiten. Gefüllt von den zwei oder drei Bloglesern.

Blogs haben meistens einen witzigen Titel, selten aber eine wirklich ernsthafte „Message“, wie der Deutsche sagt, Blogger unterhalten vornehmlich mit Belanglosigkeiten, Alltagszeugs und so. „Gefangen im Fahrstuhl“, eines meiner Lieblingsthemen oder auch „Winterreifen selbst gewechselt“ aus meiner Kolumne „Heimwerken mit zwei linken Händen“. Darüber lacht dann die ganze Welt, die, wie gesagt, in der Regel aus zwei oder drei treuen Blogleserinnen besteht. Doch dazu später mehr.

„Schreibst Du wieder?“ hört der Blogger durch die Wohnung rufen, wenn der Rest vom Patch keine Wohngeräusche mehr von ihm vernimmt. Nach Hausaufgabenkontrolle, Vokabelabfragen, Frühstücksbroteschmieren, Abwasch, Mülleimer, Wäschewaschen, Wäschefürmorgenrichten und Gassigehen, wird er sich doch wohl mal ein paar Minuten für sich selber nehmen dürfen. „Jaha, ich bin am PC!“

Wie an diesem Beispiel zu sehen ist, gelingt es länger zusammenlebenden Wohngemeinschaften soviel Verständnis für einander zu entwickeln, dass sie ihre Kommunikation auf das allernotwendigste reduzieren können.

Und dann sitzt Du vorm PC und willst Bloggen, sprich Schreiben, was dann andere lesen sollen, wehe wenn nicht, und so weiter. Am liebsten würdest Du erst mal ein bisschen bei den anderen rumsurfen, aber dann fällt Dir selber nichts mehr ein, was man outstanding nennen könnte. Also überlegst Du Dir, was Dir heute wieder gigantisches passiert ist, richtig, den Zug beinahe verpasst, weil Du mal wieder zu spät, und dann hat Dir jemand die Tür aufgehalten, obwohl der Zug schon fertig war. Na, aber hallo, wenn das kein Stöffchen ist, da kann man doch was machen draus.

Und Du schreibst und Du wirst gelesen und Du wirst einsam. Weil, die Freunde, die sind durch mit Dir, über die hast Du ein bisschen zu viel geschrieben, dass Robert Lisas Kochkünste einfach grauenhaft findet und nichts sagt, weil sie sonst beleidigt wäre, und jetzt sind beide beleidigt, geschieden und kennen tun sie Dich auch nicht mehr. Dass Ferdi sich heimlich mit Carla trifft, das hättest Du auch nicht schreiben brauchen, aber das hat Dir die meisten Clicks gebracht.

Blogger sind clickgeil muss man wissen, die gucken täglich, wieviel Leute sie heute schon angeclickt haben. In der Regel sind das zwei bis drei, davon sprach ich ja bereits. In der Regel selber Blogger. Die kommentieren bei Dir und Du bei denen, dann ist alles gut.

Zur Befriedigung der Clickgeilheit gibt es das Tagging beim Posting. Du gibst Deinem Text ein paar Suchbegriffe mit, die Google oder wer weiß wer finden soll. Am besten irgendwas, was nichts mit Deinem Text zu tun hat, aber alle interessiert. Etwa Lokführerstreik. Oder: Darmstadt.

Danke. Darmstadt.

Besucht mic doch mal auf meinem Blog. Ich heiße Ulf Runge. Den Rest macht Google.

Und wenn Ihr wissen wollt, warum Ihr ab sofort nur noch an Nutella denken könnt, dann wählt mich einfach. Bis später! Und danke!

© Ulf Runge, 2007

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21 Kommentare

  1. Supertext! Sehr treffend!

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  2. Christa sagt:

    Deinen Worten nach gehöre ich ja wohl zur ganzen Welt. ;-)Ja ich musste lachen, weil ich mich oder besser meine Famile in diesem Beitrag wieder finde. Dass ich während des „Bloggens“ Raum und Zeit vergesse ist für meine Familie gänzlich ungewohnt. Ich glaube Blogger sind schon ein „verrücktes“ Volk

    Schöner Beitrag
    Gruß aus Mannheim

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  3. andrea2007 sagt:

    Aber Ulf, das grenzt ja schon an „Nestbeschmutzung“… 🙂 Spass beiseite, schön, dass Du Dich und „uns“ so auf den Arm nehmen kannst und ein stückchen Wahrheit ist ja immer bei Satiren dabei… oder hast du etwas doch jedes Wort ernst gemeint…:-) Sorry, muss los, muss die Anzahl meiner CLicks überprüfen…*lol* liebe grüsse andrea

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  4. Ulf Runge sagt:

    Lieber Herr Mueller,

    danke für das spontane Feedback!

    LG, Ulf Runge

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  5. Ulf Runge sagt:

    Liebe Christa,

    ja, nichts ist so authentisch wie man selber.
    Die Blogger ein verrücktes Volk?
    Ja, mit Sicherheit, zumal sie sich ohne die aus der Biologie bekannten Überlebensstragien vermehren 😉

    Danke für Dein Feedback.

    LG, Ulf

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  6. Ulf Runge sagt:

    Liebe Andrea,

    ja, wer nicht über sich selber lachen kann, der wird auch nie zum „Nestbeschmutzer“ 🙂
    Und Du hast recht. Bei allem Spaß ist auch alles irgendwie ernst gemeint. Das ist ja das Schöne 🙂
    So jetzt aber Schluss, irgendwo hat es gerade „click“ gemacht…
    Weiterhin wünsche ich Dir – völlig neidlos, total neidlos – einen schönen Dauerurlaub 😉
    LG, Ulf

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  7. Mo sagt:

    Lieber Herr Runge ,
    wie meinen Sie denn Ihr „click“ jetzt ?
    Ich nehme mal an,in diesem Fall ganz im Sinne von Schadensbegrenzung.
    Allerdings könnten Sie es auch im Sinne von Übereinstimmung gemeint haben 😉
    Da stelle ich mir doch schmunzelnd die Frage: „click“ – und alles wird gut ? 😉

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  8. andrea2007 sagt:

    Lieber Ulf, da schliess ich mich an, wo hat es click gemacht? und zu Deiner „Beruhigung“, ich gehöre seit dem 01.11. wieder zur arbeitenden Bevölkerung… die Saisonvorbereitungen laufen auf Hochtouren, fehlt nur noch der Schnee… Lgr aus dem Engadin, Andrea

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  9. cjohann sagt:

    Hallo Ulf,
    tatsächlich, da hast Du dem Bloggervolk den Spiegel vorgehalten… ich wundere mich immer, dass es auch während der üblichen Arbeitszeiten clickt… ähhm, na ja, weil ich das während der Arbeitszeit überprüfe…
    Fühle mich durch Deinen Beitrag ziemlich ertappt… aber ich bin sicher, damit bin ich nicht allein. 🙂
    Liebe Grüße
    Claudia

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  10. Christa sagt:

    Hallo Ulf,

    ich nutze hier mal die Gelegenheit um mich für die Aufnahme in deiner (Ihrer?);-) „Blogroll(e)?“ zu bedanken, die mir laut meiner Webstatistik schon einige „clicks“ mehr eingebracht hat.

    Bei Gelegenheit werde ich mich revanchieren. Kommt Zeit …. kommt Aufnahme bei ver-rueckt!

    Für heute: DANKE – hab mich gefreut!

    Gruß Christa

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  11. Ulf Runge sagt:

    Liebe Mo,
    wie ich denn mein „click“ jetzt meine?
    Schadensbegrenzung?
    Das regt jetzt natürlich erst recht die Phantasie an 😉
    Danke fürs Clicken 😉
    LG, Ulf Runge

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  12. Ulf Runge sagt:

    Liebe Andrea,
    wo es click gemacht hat?
    Natürlich hier auf dem Blog.
    Wobei, wenn ich recht überlege 🙂
    Für die neue Saison wünsche ich Dir alles Gute!
    Und natürlich jeden Tag Sonnenschein mit Neuschnee…
    LG, Ulf

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  13. Ulf Runge sagt:

    Liebe ertappte Claudia,
    ja, der Narr mit seinem Spiegel…
    Auch wenn es noch nicht Fassenacht ist,
    wichtig ist, dass man bereit ist,
    über sich selber zu schmunzeln,
    und zu den eigenen Schwächen zu stehen.
    LG, Ulf

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  14. Ulf Runge sagt:

    Liebe ver-rueckte Christa,
    danke für das „Danke“.
    Ich schlage „Du“ vor, okay?
    Und nie vergessen, wir „2“ oder „3“ BloggerInnen auf dieser Welt, wir müssen zusammenhalten… 😉
    LG, Ulf

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  15. Ulf Runge sagt:

    Liebe Christa,
    danke an eben selbiger Stelle:
    http://ver-rueckt.net/
    LG, Ulf

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  16. KOMPASS sagt:

    Vielleicht muß man gar nicht in Darmstadt wohnen, um verrückt zu sein ??
    Mag sein es hilft, aber in Österreich geht das auch.

    „Kärnten ist anders.“ [Original-Wortlaut der Tourismus-Profis hier.]
    Und mit dem Fasching kennen sich die Jecken hier auch gut aus – schließlich ist man nicht weit von Venedig. In Hamburg meint man, wir gehören schon zum Balkan … und da kennt man „blocken“ oder wie das heißt noch gar nicht.

    😐 Berend

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  17. christa sagt:

    „Vielleicht muß man gar nicht in Darmstadt wohnen, um verrückt zu sein ??“

    Muss man nicht Berend, in Mannheim wohnen auch solche. 😉

    Kärnten ist anders – stimmt. Ich bin immer mal wieder in Döbriach und mache „Urlaub bei Freunden“

    Christa

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  18. Ulf Runge sagt:

    Lieber Berend,

    man muss definitiv nicht in Darmstadt wohnen, um als Blocker einsam zu sein.
    Und Ver-rueckt-heit ist auch kein lokales Phänomen, nicht wahr, Christa?

    Anders. Das hatte ein bisschen eine andere Bedeutung.
    So zu sein, dass man nicht drüber spricht.
    Oder wie man heute sagen würde, worüber man sich outen müsste…

    Anders. Vorname: Christian. Auch das gab es schon…

    Anders. Kärnten. Ist doch gut. Solange uns Kärnten nicht verrät, bezüglich was es anders ist, warum nicht?

    Ich habe mich mal köstlich amüsiert, als mir ein Berater mitgeteilt hat, die von ihm erstellte Präsentation sei abgestimmt. Auf meine Frage, mit wem, sah mich nur betretenes Schweigen an…

    LG, Ulf

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  19. Ulf Runge sagt:

    Liebe Christa,

    Mannheim, und verrückt?
    Hast Du da nähere Indizien?

    LG, Ulf

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  20. Ulf Runge sagt:

    20.02.09 Weitere Kommentare zu diesem Beitrag schalte ich erst einmal aus, da derzeit zu diesem Beitrag, warum auch immer, SPAMs ohne Ende eintreffen…

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