And the winner is…

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Leben 819 – Samstag, 17.03.12

And the winner is…

 

Meine Brillenbügel sind etwas locker, ich fahre sowieso hier die Straße entlang, in der meine Optikerin ihren Laden hat, parke den Wagen, und gehe die Eingangsstufen hinauf.

 

Der Laden ist leer, sehe ich durch die Glastür, ich drücke die Klinke, da kommt sie auch schon aus ihrer Werkstatt in den Verkaufsraum, wir lächeln einander an, begrüßen uns.

 

Flachsen über lockere Schrauben und dass es besser ist, wenn eine Brille sie hat, als ein Mensch. Wobei wir übereinstimmend feststellen, dass ein bisschen „lockere Schraube“ schon sein darf.

 

Sie dreht die Schrauben auf beiden Seiten wieder fest, reinigt die Gläser, setzt mir die Brille auf, guckt mich dabei prüfend an, das ist ein Augenblick, wo ich – lach – gerne mit dem Blick ausweichen würde, weil ich habe ja genau jetzt nichts zu „sagen“ mit meinen Augen, werde ausschließlich einer Korrektersitzprüfung unterzogen.

 

Sie nimmt mir das Gestell noch einmal von der Nase, drückt sanft an den Nasenflügeln (der Brille natürlich) um mir ein weiteres Mal intensiv in die Augen zu schauen.

 

Ich habe irgenwo mal gelesen, dass es Berufsberührer gibt. Menschen, die einen berufsmäßig absichtlich oder unabsichtilch anfassen dürfen, ohne dass ein peinlicher Gedanke aufkäme. ÄrztInnen, FriseurInnen, KellnerInnen.

 

Mein Optikerin ist nicht nur Berufsberührerin, sie ist auch Berufsanguckerin. Darf mich und meine Sehhilfe so lange ernst und lächelnd anstarren, angucken, betrachten, eines prüfenden Blickes unterziehen, wie sie das für notwendig erachtet. Da ist kein Blickausweichen möglich.

 

Nein, dieser Bericht geht jetzt nicht mit einem erotischen Knistern weiter, ich fokussiere mich jetzt auf das Thema.

 

Sie sitzt richtig, meine Brille, liegt gut an.

 

Sie ist zufrieden, meine Optikerin, strahlt mich an.

 

Ich strecke Ihr die Hand entgegen, verabschiede mich mit herzlichen Danke, habe die Klinke schon in der Hand, als ein RIESENSTOPPSCHILD vor meinem Auge erscheint.

 

Ich werde auf die Bühne des Peinlichkeitsoscar gerufen, nein, im Publikum ist es nicht stecknadelfallenhörenkönnenstill, nein, die kichern alle schon, der Ansager schreit ins Mikro „And the winner is“ und der ganze Saal spricht unisono „Ulf Runge!“

 

Die Situation ist im Eimer, ich versuche jetzt noch meine Ehre zu retten, ein bisschen.

 

Drehe mich um, sage, leicht (oder auch weniger leicht) im Gesicht errötend, dass ich, also dass ich, ja, ich häbe vergessen zu fragen, ob es denn kostenlos sei, das sei beim letzten Mal ja auch kostenlos gewesen, meine Stimme wird dünner, frage, ob das okay sei, sage, dass das ja nicht selbstverständlich sei.

 

Sie lacht sich innerlich wahrscheinlich schlapp, weil es ja ihre Auffassung von Kundenservice ist, weil sie zu recht aus dieser „Kleinigkeit“ eine starke Kundenbindung erhofft. Sie ist so höflich, mich das nicht spüren zu lassen, lächelt mich an, und schiebt mich fast zur Tür hinaus, damit ich nicht noch weiter aus dieser Mücke einen Elefanten mache.

 

Ich bedanke mich erneut, verschwinde ganz schnell, verweile noch einen Augenblick auf dem Autositz, bevor ich den Motor starte, denke mir, dass ich da mal wieder eine Erfahrung gemacht habe. Dass auch die „kleinen Selbstverständlichkeiten“ mit Achtsamkeit wahrgenommen werden wollen und sollen.

Ich stehe vor dem Mikro, den Peinlichkeitsoscar in der Hand, versuche auf Englisch nicht nur meinen Eltern, der Familie und so weiter zu danken, nein, ICH DANKE ALLEN PEINLICHKEITEN, die immer wieder meine Achtsamkeit schärfen.

 

Licht aus.

© Ulf Runge, 2012

9 Kommentare Gib deinen ab

  1. Hase sagt:

    Lieber Ulf,
    vielen herzlichen Dank für Deinen tollen Bericht der mich wieder zum Schunzeln verführte. Ich kann mir die Situation so richtig vor Augen führen. Ich habe auch einen ganz netten Optiker, wir haben uns schon schön unterhalten ,und ich kann das gut nachvollziehen, die Momente des Blickkontakts.

    „jetzt nicht mit einem erotischen Knistern weiterführen“
    es hat aber schon ein wenig geknistert beim Lesen….. *lach*
    wenn ich die Optikerin gewesen wäre, hätte ich Dich zwei Blicke lang angeschaut…
    ein schönes Frühlingswochenende
    liebe Grüße
    Erika 🙂

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  2. Hase sagt:

    P.S. Mit dem Bedanken ist mir übrigens auch schon einmal so gegangen . Nach dem Danke habe ich gefragt, was es kostet. … Das ist Kundenservice ! Wenn man ein nettes Gespräch geführt hat, sind mir diese kleinen „Patzer“ gar nicht peinlich….
    Ich glaube auch, dass Deine Optikerin das nicht so empfunden hat. Weil Du ja ein sehr freundlicher Mensch bist, würde man Dir auch große Peinlichkeiten ganz leicht verzeihen…. Weil Du eine so sympathische Ausstrahlung hast….. So , das musst an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich gesagt werden…. LG Erika 😉

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  3. ladidaladida sagt:

    Lieber Ulf,

    sie hat Dein Brillengestell angestarrt, nicht Dich 😉

    Danke für Deinen Bericht, es bringt mich nämlich darauf, dass ich mit BabyBruder mich mal wieder unterhalten muss. Wenn bei ihm oder bei Mama „eine Schraube locker ist“, geht er zum erstbesten Optiker und lässt es richten. Er beruhigt uns auch bei jeder lockeren Schraube, es sein ja kein Problem, weil alle Optiker machen es umsonst. Ich hoffe, dass sein Aspergerhirn auf die Idee gekommen ist, nachzufragen, was man der Optikerin schuldig sein. Und ihn anschliessend davon abhalten, zu allen Optikerinnen, bei denen er schon mal gewesen ist, hinzurennen und sich dafür zu entschuldigen, dass er vor einem Jahr die Dienstleistung als selbstverständlich genommen hat. ^^

    Gruß,

    LL

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  4. Maria H sagt:

    Lieber Ulf,
    solch kleine, ich nenne es mal „Versäumnisse“, geschehen schnell. Bei mir war es der Uhrmacher. Ich trage gerne die Uhren meines Mannes, und hab mir in das Lederband zusätzliche Löcher stanzen lassen damit es passt. „Kundenservice“ !!
    Einige Zeit später bin ich mit noch einer Uhr hin. Habe mich bedankt und ging zur Tür raus.
    Ich hatte mich schon einige Meter von meiner „Peinlichkeitsstätte“ entfernt, als es mir durch den Kopf schoss: „ach du lieber Himmel, wie unhöflich war ich denn jetzt? “
    Bin zurück gelaufen, hab mich entschuldigt und, da es natürlich wieder Kundenservice war, einen Obulus in die sogenannte „Kaffeekasse“ getan. Die gibt es in fast jeder Firma.

    Liebe Grüße
    Maria

    Ach, da fällt mir noch was ein zu den Berufsberührern. Wieso sind Kellner Berufsberührer??
    Ein Kellner hat mich noch nie berührt….grübel

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  5. Ulf Runge sagt:

    Liebe Erika,
    schön, dass Du ähnliches erlebst.
    Und ich freue mich, dass Du es hast knistern hören, wo es doch nur ums Berufsberühren und Berufsgucken ging.

    Lächelnde Grüße,
    Ulf

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  6. Ulf Runge sagt:

    Oh, Ladidaladida,
    berichte mir, wenn sich BabyBruders Entschuldigungsspur durch den Kosmos zieht….
    Ich freue mich schon darauf…

    Liebe Grüße,
    Ulf

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  7. Ulf Runge sagt:

    Kaffeekasse. Das ist eine tolle Idee, liebe Maria, das nächste Mal frage ich nach der Kaffeekasse…

    Warum die Kellner Dich nicht berühren? Du stellst Fragen. Das hat bestimmt nichts mit Dir zu tun. Ich glaube, Du solltest in kleinere, kuschligere Lokalitäten gehen.

    Lächelnde Grüße,
    Ulf

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  8. Maria H sagt:

    hm….darüber mach ich mir jetzt Gedanken….über die Kellner und kuschlige Lokalitäten !

    Gruß von ziemlich ratloser
    Maria

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  9. Ulf Runge sagt:

    Liebe Maria,

    nicht im Ernst?! Oder?!

    Es ist kein Grund ratlos zu sein, wenn man höflich und rücksichtsvoll bedient.

    Lächelnde Grüße,
    Ulf

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