Der Goldene Schuss – zurügggebliggd

Leben 141 – Dienstag, 27.11.07

Der Projektor war nicht richtig eingestellt. Während der eine Kollege die Fernbedienung zum Justieren drückte, unterstützte ihn ein anderer Kollege tatkräftig mit Worten, und als er zufrieden war, rief er „Schuss“! Ich grinste wissend in mich hinein, und dann outete sich mein Kollege als zu meiner Altersklasse gehörig, indem er was von „Der Goldene Schuss“ murmelte. Ein dritter Kollege, ebenfalls aus unserer Jahrgangskategorie, meinte dann was von „Vico Torriani“, während der zweite nun „Lou van Burg“ einwarf.

So, bevor es jetzt vollends kompliziert wird, erst mal für die Spätgeborenen ein historischer Abriss, und dann noch ein kleines Sahnehäubchen.

Historischer Abriss:
In Ermangelung gescheiter Schusswaffen und weil er sonst nichts rechtes gelernt hatte, ließ sich seinerzeit der Lokführer Wilhelm Tell mit dem Draisinenchef Gessler darauf ein, dass er 31% weniger Mal das Haltesignal beachten müsse, wenn es ihm gelänge, einen mit Alleskleber auf dem Kopf seines Sohnes befestigten Apfelkern durchzuschießen. Das gelang dann auch beim dritten Kind, Einzelheiten bringen hier nicht wesentlich weiter.

Kurz gesagt, so entstand die Schweiz, und in Erinnerung an diesen mutigen Mann führte das ZDF dann den Goldenen Schuss ein, um endlich eine Antwort zu finden auf Camillo Felgens UEFA-Kapp-Vorläufer, den Schmierseifenspielen ohne Grenzen.

Lou van Burg und Vico Torriani waren die Geburtsthelfer bzw. Totengräber dieser jedes Mal aufs Neue spannenden Armbrust-Sendung.

Assoziation: Ein Postmitarbeiter wird gefragt, ob es nicht langweilig sei, jeden Tag stundenlang Briefe zu stempeln. „Nö, iss ja jedesmal ´n andres Datum…“

Was war der Sinn des Spiels? Die Fernsehzuschauer mussten beweisen, nachdem ihnen Studiogäste das mit dem Armbrustschießen vorgemacht hatten, dass sie erstens Telefonieren können, und das war damals schon ein Ding, weil es gab statt heute 10 Tasten für 10 verschiedene Ziffern seinerzeit nur eine einzige Wählscheibe, und wehe man hat sich da vertan, dann hat man sich verwählt.

Erstens also telefonieren, zweitens dann die fünf Wörter „links“, „rechts“, „höher“, „tiefer“ und „Schuss“ kennen und sachrichtig verwenden. Sprachwissenschaftlich rätselhaft, warum sich nicht „linker“ und „rechter“ durchgesetzt haben, sehr wohl aber „höher“ und „tiefer“. Egal wie, man sah auf die Mattscheibe am heimischen Fernseher, sah, dass die Kamera mit einer Armbrust zusammen montiert war, und konnte durch richtungsweisende Befehle den Kameramann oder –frau dazu bringen, die Zieleinrichtung dieser Waffe so zu platzieren, dass das anzusteuernde Ziel eventuell getroffen werden könnte. Ich nehme mal an, dass die Kameraleute keine Danebenschießprämie bekommen haben, heutzutage wär man sich wohl nicht so ganz sicher, oder?

Die Popularität dieses Spiels stieg dermaßen, dass die Menschen im Norden wie im Süden gleichermaßen Gefallen daran fanden, dieses Spiel auch im Alltag zu spielen. Leider entwickelte sich daraus in Consumer-Kreisen eine tödliche Variante, aufgrund derer der Bayerische Rundfunk beim ZDF ausstieg und damit die Einstellung der höchst populären Sendung erzwang.

So das hätte es jetzt sein können mit dem Goldenen Schuss, aber ich hatte ja noch das Sahnehäubchen versprochen.

Sahnehäubchen:
Ähnlich wie Twix mal Rider hieß oder Ryder oder wie auch immer, so hieß die CeBIT früher mal Hannovermesse und war ungeteilt. Egal, wir schreiben ungefähr das Jahr 1978, und ein angehender Informatoriker will man sehen, was die da so für Computer bauen in der Welt, und das guckt er sich mal in Hannover an.

Schwer beladen mit zwei erst zwei Stunden später platzenden Plastiktüten voller Prospekte, die er dann fünf Jahre lang aufheben wird und dann ungelesen entsorgen, aber das ist eine andere Geschichte.

Nochmal: Schwer beladen kommt er am Telefunkenstand vorbei. Jüngere Menschen denken da natürlich gleich an den Kölner Karneval, an die Blauen und Roten Funken, aber nein. Telefunken hat früher Radios gebaut. Und Tonbandgeräte. Und Fernseher. Und Computer!!! (Ja, die gute alte TR440…)

Seitdem der Mensch lebt, versucht er es mit Kommunikation. Schriftlich. Nicht immer erfolgreich, wie immer noch nicht interpretierbare Hieroglyphen beweisen. Mündlich. Nicht immer erfolgreich. Da gibt es einmal noch heute spürbar die Folgen des Turmunglücks von Babylon, und dann natürlich auch das, was den Menschen erst zum Menschen macht: Die Kunst, des Nichtverstehenwollens.

Egal wie, der Mensch hat schon immer gehofft, dass er irgendwann mal Maschinen bauen könnte, die ihn auch nicht verstehen. Und genau da war ich jetzt, am Telefunktenstand. Die hatten hier die Armbrust aufgebaut vom Goldenen Schuss. Spracheingabe sollte demonstriert werden. Du sagst „höher“ und die Armbrust bewegt sich etwas höher. So einfach ist das.

Eine kleine Menschentraube hatte sich um das Mikrofon gebildet, an dem ein Besucher erfolgreich die Armbrust steuerte. Natürlich fiel bei „Schuss“ kein Schuss, der Computer spuckte nur die Info aus, dass man erfolgreich gewesen war oder nicht. Der Mann war erfolgreich, der nächste ging ans Mikrofon.

„Oi bissle no links“ hörten meine Ohren, auch die des Computers, aber der reagierte nicht. „Links hend i gsagd, hasch mi verschdanden?“ Oha, die Armbrust bewegte sich tatsächlich nach links. „Oi bissle zurügg!“ erklang es nun, die Stimme wurde lauter, erregter, die Menschentraube größer und belustigter.

„Wenn i zurügg sag, dann moi i zurügg!“ Und so weiter und so fort. Ich war nicht ganz sicher, ob dieser Südgermane sich einen Spaß daraus machte und die anschwellende Öffentlichkeit hier genoss, oder ob er davon überzeugt war, dass man seinen Dialekt nur laut genug äußern müsse, dann klappt es auch schon.

Das Ende ist schnell erzählt. Zu guterletzt war nicht nur der Südteutone hochroten Kopfes, nein, getoppt wurde das ganze noch von einem, ich nenne ihm mal „Nordlicht“, der ziemlich dialektintolerant rumschrie: „Sie müssen hochdeutsch reden mit dem Computer, verstehen Sie, HOCHDEUTSCH. Links, rechts, höher, tiefer, SCHUSS! Haben Sie das verstanden?“

Warum es dann noch mal zwanzig Jahre gebraucht hat, bis „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ zum Sympathieträger von BW wurde, wissen die Affen von Salem.

Pikanterweise wurden die Telefunkencomputer seinerzeit in Konschdanz gebaut, und da spricht man ja sehr wohl einen gepflegten Lokalkolorit…

Hinweis: Bei der Übersetzung vom Hochdeutschen ins Schwäbische habe ich mich dankenswerter Weise des „Schwäbisch Übersetzers“ der FH Wedel bedient.

© Ulf Runge, 2007

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6 Kommentare Gib deinen ab

  1. zauberliebe sagt:

    Ulf, KÖSTLICH!!! :-)))))) Und ich erinner mich gaaaaaaaaaaaaanz dunkel an „Spiele ohne Grenzen“ … aber da muss ich wirklich noch SEHR klein gewesen sein 😉

    Allerdings: mutig waren ja wohl eher die Kinder als der Armbrustschießer selber … seh ich zumindest so 😉

    Lachende Grüße, Ulli

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  2. Ulf Runge sagt:

    Liebe Ulli,

    Du hast wahrscheinlich als kleines Kind die Wiederholungen von „Spiel ohne Grenzen“ gesehen 😉

    Liebe Grüße, Ulf

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  3. andrea2007 sagt:

    Sehr charmant Dein Kommentar für Ulli, lieber Ulf…sowas mögen Frauen, gell Zauberliebe?:-)

    Ich wollte aber eigentlich Deinen Beitrag kommentieren und nicht Deinen Kommentar:-)

    Köstlich, eine Reise in die Vergangenheit des Fernsehens, eine Reise in die Anfänge der Schweiz und ein Einblick in den Charakter eines Süddeutschen:-)Wenn nicht sowieso die Sonne scheinen würde, wäre sie jetzt aufgegangen…liebe Grüsse, Andrea

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  4. Ulf Runge sagt:

    Liebe Andrea,

    danke, danke, danke…
    Ja auch bei mir in Nordnordnordbaden hat die Sonne den Dunst durchbrochen 😉

    Liebe Grüße, Ulf

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  5. Renate sagt:

    Kommunikation ist eine der schwierigsten ….. ob auf schwyzerdütsch, schwäbisch oder sonstwie …. 😉
    Der Link zum Schwäbisch-Übersetzer funktioniert leider nicht. Schade!
    Lieber Gruß von Renate
    P. S.: Kennst du die Asterix-Bücher in Mundart? Köstlich!

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  6. Ulf Runge sagt:

    Liab Renade,

    dank für den Hinweis. Dr Link sollde jedzd funkzioniere.
    Aschderix-Büchr in Mundard? Ja, hend i scho vo gehörd, abr no nedd wirklich glese.

    Liab Grüße, Ulf

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