Leben – Mittwoch, 25.04.07

Leben 001 – Mittwoch, 25.04.07

Mittwoch, 25.04.07

Ich sitze hier. Ich habe das Glück, dass heute früh alles etwas anders gekommen ist.

Ich beschließe, regelmäßig hieran und an anderen Themen zu schreiben, möglichst täglich. Hieran, das bist ab heute Du, mein Schreibetagebuch. Du brauchst einen Namen und ich gebe ihn Dir: „Das Leben“. Klingt vermessen. Vielleicht werde ich Dich noch einmal umbenennen. Einfach nur „Leben“.

Ich sitze hier. Hier, das ist das wintergartenartige Bahnhofsbistro, in dem ich unverhofft meine ungeplante Wartezeit auf den Zug verbringe. Es ist gemütlich-ungemütlich hier. Eine julistarke Sonne scheint mir ins Gesicht und blendet mich. Die Sonnenbrille ziehe ich trotzdem nicht auf. Neben mir stehen ein Doppio und ein Buttercroissant. Süßlich-bitterer Geschmack auf der Zunge. Passt! Kaffeearoma dringt durch den halboffenen Raum. Selbst der Zigarettenduft der jungen Dame an der Theke stört mich nicht. Im Gegenteil, ich atme ein bisschen tiefer, um mitzugenießen. Aus den Lautsprechern versucht Hintergrundmusik den Raum dezent einzunehmen. Keine wirkliche Chance gegen den Kompressor eines städtischen Grünanlagenautos, dessen Bediensteter mit einem kräftigen Wasserstrahl die ausgetrockneten Platanen und Beete vor dem Verdursten zu retten versucht. Meine Ohren fühlen sich wie bei einem Picknick auf dem Flugplatz…

Wenn ich heute früh nicht noch zwei ungeplante Erledigungen gemacht hätte, ja, dann hätte ich meinen gewohnten Zug genommen, säße nicht hier im Bahnhofsbistro der Nachbarstadt.

Geschenk der Hektik. Zeit zum Anfang. Wobei, angefangen ist schnell. Neues zu leben ist schwieriger. Projekte zum Ende zu bringen ist dann schon eine Kunst. Ich wag’ es…

Der Kompressor arbeitet nun mit geringerer Drehzahl. Die Hintergrundmusik hat wieder eine Chance, zu mir durchzudringen. Jazzige Querflötentöne erklimmen die Tonleiter. Das Mahlwerk der Espressomaschine stimmt in die Kakophonie ein.

Aus. Der Kompressor ist aus. Inzwischen haben sich an vielen Sitzbänken und Bistrotischen Frühstücksgäste eingefunden. Es sind auch nur noch 12 Minuten, bis der Zug kommt.

Ob ich denn WLAN-Zugang hätte, fragt mich ein junger Mann, auf meinen Laptop weisend. Ich verneine. „Ich arbeite ganz ohne Netz.“ ‚Und ohne doppelten Boden’, denke ich mir scherzhaft hinzu. In Darmstadt und in anderen Bahnhöfen sei WLAN selbstverständlich, meint er noch, dann ist er wieder ganz bei sich und ich bei mir.

Kenny G. spielt im Hintergrund. Das könnte jetzt noch so länger hier weitergehen. Der Sonnenschein erwärmt immer noch ganz angenehm die Haut, und eine leichte Brise findet ihren Weg in dieses Bistro-„Cabrio“.

Ob ich mehr Genuss jetzt gehabt hätte, wenn ich diese Zeilen nicht geschrieben hätte? Wenn ich statt dessen nichts getan hätte? Nur denken, nicht schreiben? Nein, ich glaube nicht. Und das bestärkt mich: Nimm Dir öfter so eine Auszeit. Setz Dich hin, atme ein, lebe die Eindrücke, schreibe.

Liebes „Leben“ – ja ich habe Dich umbenannt, nur „Leben“ ist passender, denke ich -, liebes „Leben“, der Anfang ist gemacht. Jetzt muss ich Dich nur noch leben…

©Ulf Runge, 2007

7 Kommentare Gib deinen ab

  1. seelenworte sagt:

    Lieber Ulf,
    ich habe gerade Deinen „Anfang“ hervorgekramt, als ich sah, wie lange Du schon Dein Blog hast! Ein wundervoller Anfangsartikel, gefällt mir so sehr gut. Ich hoffe, ich kann meinen jetzigen Blog auch so lange und noch länger festhalten. Ich blogge zwar seit weit über 2 Jahren, war aber immer „auf der Flucht“. Ich habe aber jetzt bei den Seelenworten ein gutes Gefühl. Ich habe viel gelernt in den Jahren auf der Flucht von einem Blog zum anderen, ich denke, ich bin nun ganz frei und ganz bei mir, um dranzubleiben.
    Einfach wundervoll, Dein Schreiben und Dein Blog! 🙂
    LG Ellen

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    1. Ulf Runge sagt:

      Liebe Ellen,

      da greifst Du ja meinem für gleich geplanten „Beitrag“ schon ein bisschen vor,
      indem Du schon mal rumstöberst in meinem Blog.
      Danke für die freundliche Rückmeldung zu meinem Entrée in die Blogwelt.
      Auch ich war und bin immer wieder auf der Suche.
      Auch ich war immer mal geneigt, alles hinzuwerfen.
      Weil mir nichts einfiel. Weil ich „keine Zeit“ hatte.
      Weil ich auf einmal vermutete, dass es da Erwartungshaltungen geben könnte,
      was und wie oft ich schreibe.
      Ich bin sehr froh, eine so bunt gemischte und Leser- und Kommentiererschaft zu haben,
      die mich teilweise von Anfang an begleiten, die mir treu geblieben sind,
      die mir auch immer wieder das Gefühl vermittelt haben, ich schreibe nicht nur für mich,
      ich schreibe auch für Euch.
      Und obwohl „Ihr“ Euch weiterentwickelt und verändert, so ist doch trotzdem und auch gerade deshalb
      eine sehr persönliche Note hier entstanden, die ich in ähnlicher Weise auch auf den „befreundeten Blogs“
      wiederfinde.

      Schön, dass Du die „Flucht“ abgestreift hast. Schön, dass Du frei bist.
      Ich wünsche Dir, nicht nur „frei von“ zu sein, sondern „frei für“.

      Liebe österliche Grüße,
      Ulf

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  2. seelenworte sagt:

    Lieber Ulf,
    das hast Du ganz perfekt und schön ausgedrückt: „frei für“. Das muß ich mir merken! 🙂
    Ich wünsche Dir schöne Osterferien!
    Liebe Grüße
    Ellen

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  3. Ulf Runge sagt:

    Liebe Ellen,

    das ist nicht von mir erfunden, das „frei für“.
    Das habe ich selber auch gelernt.

    Ich glaube, ich habe es in dem recht kontrovers diskutierten Buch „Lob der Disziplin“ von Bernhard Bueb gelesen. Er will damit zum Ausdruck bringen, dass nur eine Freiheit, die sich einem Ziel, einem Wert verpflichtet den Frei-Raum auch mit Sinn füllt.
    Und dem stimme ich voll zu.

    Liebe Grüße,
    Ulf

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  4. maribey sagt:

    Schön, dass du einen Link zu deinem ersten Beitrag gelegt hast. Ich staune, dass du schon so viele Jahr bloggst. Eine Momentaufnahme, die den Leser/ die Leserin gut mit hinein nimmt, als sitzen wir dort mit dir im Bahnhofsbistro und riechen das Kaffeearmoma und lauschen deinen Gedanken.

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    1. Ulf Runge sagt:

      Wenn ich bedenke,

      wie unsicher ich war, wie das denn ist, nicht-anonym als Blogger unterwegs zu sein,
      noch dazu als abhängig Beschäftigter bei einem Arbeitgeber, der selber in der Öffentlichkeit prominent unterwegs ist,
      ob denn überhaupt jemand „das“ lesen würde,

      kann ich allen nur Mut machen, sich mal als BloggerIn auszuprobieren.

      Vielleicht am Anfang mit einem anonymen Blog, wenn man nicht weiß, wie sich das auf das Berufsleben oder auch auf das Privatleben auswirken kann.

      Danke an alle, die hier gelesen haben und lesen.
      Danke an alle, die hier kommentiert haben und kommentieren.
      Danke an alle, die hier geliket haben und liken.
      Danke an alle, die hier oder in facebook oder in twitter gelesen und geteilt haben bzw. lesen und teilen.
      Danke an alle, die hier gelesen haben und lesen.

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      1. maribey sagt:

        DANKE für dein Teilhaben lassen!

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